Meldungen aus dem Landesverband Hessen
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„Im Tode alle gleich?“

Führung über die Kriegsgräberstätte Schlüchtern

Landesverband Hessen

Kriegsende in Europa 1945: Am 8. Mai 2023 jährte sich das historische Datum zum 78. Mal. Aus diesem Anlass bot der Volksbund in Hessen eine Führung über die Kriegsgräberstätte Schlüchtern an. Dr. Götz Hartmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt des hessischen Landesverbandes, informierte über die Geschichte der 1963 eingeweihten Kriegsgräberstätte im Main-Kinzig-Kreis und stellte exemplarische Schicksale hier bestatteter Toter vor.

 

Kein klassischer Soldatenfriedhof

17 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten der Einladung zur Führung am Nachmittag. Den mit alten Bäumen bestandenen Friedhof im Zentrum von Schlüchtern lernten sie als typische Kriegsgräberstätte auf dem Gebiet der frühen Bundesrepublik kennen: „Schlüchtern ist kein klassischer Soldatenfriedhof, sondern eine Sammelgrabanlage für unterschiedliche Gruppen von Toten, die zuvor an anderen Orten bestattet waren“, erklärte Götz Hartmann. Ab 1961 wurden die Toten durch den Volksbund aus dem Gebiet des heutigen Main-Kinzig-Kreises umgebettet. Damit sollte die gesetzlich vorgeschriebene Erhaltung und Pflege ihrer Gräber gewährleistet werden.

Gräberstätte für 338 Tote

In Schlüchtern haben 338 Männer, Frauen und Kinder ihre letzte Ruhestätte gefunden: deutsche Soldaten, zivile Kriegstote der örtlichen Bevölkerung, sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus Osteuropa – aber auch 20 KZ-Häftlinge aus einem Lager in den Frankfurter Adlerwerken. Im März 1945 wurden sie auf einem Todesmarsch durch das Kinzigtal von ihren SS-Wachen ermordet. In Schlüchtern sind die Opfer des Todesmarsches heute gemeinsam mit zahlreichen Soldaten einer Waffen-SS-Division bestattet, die Anfang April 1945 bei Gefechten mit US-Truppen ums Leben kamen. „Mit der Beisetzung von Opfern des NS-Regimes neben Toten der Waffen-SS wurde eine Spannung geschaffen, die Besucherinnen und Besucher der Kriegsgräberstätte heute oft irritiert“, sagte Götz Hartmann. Mit der Formel, im Tode seien alle Menschen gleich, versuchte man in den Jahren um 1960, diese Spannung zu entschärfen – der Titel der Führung spielte hierauf an.

Dass Soldaten der Waffen-SS und ermordete KZ-Häftlinge auf ein und dieselbe Kriegsgräberstätte umgebettet wurden, soll heute jedoch nicht mehr als Versöhnung verklärt, die Irritation darüber nicht mehr beschwichtigt werden: Dafür steht das historische Forschungsprojekt des Volksbunds in Hessen, in dem die Kriegsgräberstätte Schlüchtern 2022/23 bereits zum zweiten Mal Arbeitsschwerpunkt war. Die neue Informationstafel des Landesverbandes, in einer Feierstunde am 27. März 2023 der Öffentlichkeit vorgestellt, gibt unter anderem Auskunft über die Rahmenbedingungen aus Gesetzeslage, Verwaltungsvorschriften und Erfordernissen der Grabpflege, die den Hintergrund für die Errichtung von Sammelfriedhöfen wie in Schlüchtern bildeten.

Zu den aktuellen Ergebnissen aus dem Forschungsprojekt gehören auch die neu recherchierten Einzelschicksale aus verschiedenen Gruppen von Toten, die in der Führung präsentiert wurden. Alle Einzelschicksale der Kriegsgräberstätte Schlüchtern sind bereits heute auf der Internetseite des Landesverbandes hinterlegt und über einen QR-Code von der neuen Informationstafel aus zugänglich. In Zukunft werden zusätzliche QR-Code-Tafeln an den Gräbern der Toten es möglich machen, auch von dort aus die Forschungsergebnisse zu ihren Lebengeschichten einzusehen.

(Text: 08.05.2023, GH)