Meldungen aus dem Landesverband Hessen
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„In Europa gehen die Lichter aus ...“

Kriegsgräber-Führung des Volksbunds auf dem Frankfurter Hauptfriedhof stellt den Ersten Weltkrieg in den Mittelpunkt

August 1914: Deutsche Soldaten im Zug zur französischen Grenze Bundesarchiv / gemeinfrei

Angebot zum „Tag des Friedhofs“ 2024

Am bundesweiten „Tag des Friedhofs“ – stets am dritten Sonntag im September – war der Volksbund in Hessen auch 2024 wieder mit einem eigenen Angebot an der Veranstaltung auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beteiligt. Bei Sonnenschein und spätsommerlicher Wärme folgten am 15. September 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Einladung des Landesverbandes zu einem Rundgang über die Kriegsgräberfelder des Hauptfriedhofs. 

Inhaltlicher Schwerpunkt der Führung durch Dr. Götz Hartmann, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Volksbunds in Hessen, war in diesem Jahr der Erste Weltkrieg.

„Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“

„In ganz Europa gehen die Lichter aus, und wir werden sie in unserem Leben nicht mehr brennen sehen“: Edward Grey, britischer Außenminister, behielt Recht mit seinen pessimistischen Worten vom August 1914. Nur wenige Wochen dauerte der Weg der europäischen Staaten in den Ersten Weltkrieg. Die Rückkehr zu einem beständigen Frieden gelang Jahrzehnte nicht.

Heute sind es die Bilder aus den Schützengräbern in der Ukraine, die Erinnerungen an die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ wachrufen. Wie lange wird dieser gegenwärtige Krieg dauern, den viele für unmöglich gehalten haben? Welche Friedensordnung wird an seinem Ende stehen?

Die unerwartete Aktualität der historischen Ereignisse von 1914 bis 1918 war Anlass für den Volksbund in Hessen, seine Führung zum „Tag des Friedhofs" auf dem Frankfurter Hauptfriedhof in diesem Jahr den Toten des Ersten Weltkriegs zu widmen.

1.600 Tote des Ersten Weltkriegs

In den Kriegsgräbern des Frankfurter Hauptfriedhofs sind annähernd 6.700 Menschen bestattet: Männer, Frauen und Kinder aus Deutschland und anderen Ländern, die ihr Leben in den Weltkriegen und als Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verloren haben. Auf den Ersten Weltkrieg gehen Gräber für über 1.600 Tote zurück. Die meisten von ihnen waren deutsche Soldaten, die verwundet in Frankfurter Lazarette eingeliefert wurden und dort verstarben. Andere wurden von ihren Sterbeorten an den Fronten zur Beisetzung auf den Hauptfriedhof überführt.

Auch Lazarett-Krankenschwestern und Opfer erster Luftangriffe auf Frankfurt sind hier begraben, außerdem 50 Kriegsgefangene aus Serbien, Rumänien und dem russischen Kaiserreich. Weitere 50 Kriegsgräber des Ersten Weltkriegs befinden sich auf dem jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße im Süden des Hauptfriedhofs.

Lange unentschiedener Konflikt

Der Erste Weltkrieg war ein Konflikt, dessen Ausgang lange „auf Messers Schneide“ stand, wie der Titel einer einschlägigen Darstellung des Historikers Holger Afflerbach lautet – auch wenn dies aus dem zeitlichen Abstand von mehr als 100 Jahren leicht zu übersehen ist und der Eindruck der Unvermeidlichkeit des bekannten Verlaufs der Geschichte die Wahrnehmung bestimmt.

Zugleich entfaltete der Krieg eine Dynamik, die in kurzer Zeit enorme Veränderungen nicht nur im technischen und militärischen, sondern auch im sozialen und kulturellen Bereich nach sich zog. Zwar wurde auch dieser Krieg von Menschen „gemacht“, doch waren seine Folgen der Kontrolle durch Einzelne oder Gruppen in ihrer komplexen Gesamtheit völlig entzogen. Ein Beispiel ist die vom Kriegsgeschehen stark begünstigte Influenza-Pandemie von 1918 bis 1920, der weltweit je nach Schätzung bis zu 50 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt

In der Führung am „Tag des Friedhofs“ wurden Ergebnisse aus dem historischen Forschungsprojekt vorgestellt, in dem der Volksbund in Hessen seit 1999 die Geschichte der hessischen Kriegsgräberstätten aufarbeitet. Der Frankfurter Hauptfriedhof war 2018 und 2019 Schwerpunktthema im Projekt, in das bis heute 16 Kriegsgräberstätten in Hessen aufgenommen wurden.

Teil des Informationskonzepts, das der Landesverband zur Dokumentation seiner Forschungsergebnisse entwickelt hat, ist die Vermittlung historischer Themen am Beispiel von persönlichen Schicksalen einzelner Kriegstoter, die aus Primärquellen rekonstruiert wurden. So lernten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Führung an den Gräbern verschiedener Kriegstoter deren Schicksale kennen: das von Hermann Bengelmann etwa, einem bayerischen Soldaten, der 1916 in der Schlacht an der Somme tödlich verwundet wurde, das Schicksal eines Kriegsgefangenen aus Rumänien, der 1917 in einem Frankfurter Lazarett verstarb, oder das eines 16-jährigen Lehrlings aus Frankfurt, der im August 1918 bei einem der ersten Luftangriffe auf die Stadt ums Leben kam. 

Kriegsgräber auf dem jüdischen Friedhof

Einen besonderen Akzent setzte zum Abschluss der Besuch der Kriegsgräber auf dem jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße, der dank der Zustimmung der Frankfurter Jüdischen Gemeinde möglich geworden war. Auch hier wurden die Schicksale von zwei jungen Männern vorgestellt – Arthur Mayer und Philipp Eis –, die aus Frankfurt stammten und ihr Leben 1917 und 1918 als deutsche Soldaten verloren. Insgesamt hatten die jüdischen Familien Frankfurts im Ersten Weltkrieg 467 Kriegstote zu beklagen; ein Denkmal aus dem Jahr 1925 erinnert an sie.

(16.09.2024, GH)