Meldungen aus dem Landesverband Hessen
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Menschenrechtsverletzungen damals und heute

Die Jugendbegegnung in Bosnien und Herzegowina. Ein Bericht von Eileen Janiszewski

Zehn deutsche Jugendliche haben sich dem Abenteuer gestellt. Mit gemischten Erwartungen, einem Koffer voll Vorfreude und gepackt für 14 Tage machten sich die Teilnehmer des deutsch-bosnischen Workcamps am 09. Juli 2011 auf den Weg. Das Ziel: Bosnien und Herzegowina.

Nach einem dreistündigen Flug vom Flughafen Köln/Bonn erreichten die Jugendlichen die Hauptstadt Bosnien und Herzegowinas: Sarajevo. Bereits der Blick aus dem Flugzeug erweckte Neugierde auf mehr. Mehr Land, mehr Kultur, mehr Wissen wollen über das, was auf sie zukommen wird.

Eine weitere dreistündige Fahrt mit dem Auto durch die Berge mit ihren vielen Kurven und knappen Abhängen wurde zu den ersten Eindrücken. Jedoch ließen sich die Teenager so schnell nicht aus der Ruhe bringen. Mit witzigen Spielen und ersten Unterhaltungen mit den bosnischen Fahrern wurde die Fahrt erträglicher.

In einem kleinen, beschaulichen Ort namens Krizevici angekommen, lernten sich ungewöhnlich schnell und unbefangen die deutschen und bosnischen Teilnehmer zwischen 16 und 28 Jahren kennen. Sehr zur Freude der Gruppenleiter, die sich ebenso zum ersten Mal persönlich kennenlernten, kam die Gruppe von 16 Teilnehmern sehr offen und neugierig zusammen.

Die Bedeutung der Menschenrechte

In den ersten Tagen wurden die jeweiligen Erwartungen und Ängste der Gruppe abgesteckt und in die jeweils andere Landeskultur hineingeschnuppert. Mitgebrachte Lebensmittel und Getränke von Pumpernickel bis Fassbrause überraschten die Bosnier, genauso wie ein Film über das Land Bosnien und die wunderschöne Stadt Mostar die Deutschen beeindruckte.

Nach einem intensiven Kennenlernen konnte nun die thematische Arbeit in vollen Zügen gestartet werden. Im Vordergrund stand die Auseinandersetzung mit den Menschenrechten im Allgemeinen und die Beschäftigung mit den Menschenrechtsverletzungen sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch im Bosnienkrieg von 1992-1995.  Über die gemeinsame Erarbeitung des Themas Zweiter Weltkrieg und seine Folgen wurde den Teilnehmern klar, wie sehr von Bedeutung die Genfer Konventionen sind und vor allem wie wichtig die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist. Vielen ist erst im Anschluss klar geworden, wie sehr man täglich mit den Menschrechten in Berührung kommt, wenn man sie nur bewusst wahrnimmt.

Die Jugoslawienkriege und die Ereignisse in Bosnien

Die Auseinandersetzung mit dem zweitgrößten Genozid nach dem Zweiten Weltkrieg war für viele der Teilnehmer emotional sehr bewegend. Es wurden die Ereignisse vom Juli 1995 in Srebrenica und Potocari gemeinsam erkundet, zusammengesetzt und mit Filmen und dem Gedenkstättenbesuch behandelt und miteinander diskutiert. Besonders unbegreiflich schien es den Teilnehmern, dass so etwas nach dem Zweiten Weltkrieg und trotz Schutztruppen der Vereinten Nationen noch immer passieren konnte. An diesem Punkt war es nicht leicht, die Verbindung von Politik, Religion und nationaler Identität zu erschließen, um in die Hintergründe dieser Grausamkeiten einzudringen. Doch sowohl die deutschen als auch die bosnischen Teilnehmer waren, trotz emotionaler Mitgerissenheit, offen und interessiert. Dies zeigte sich bei dem Zeitzeugenbesuch der „Mütter von Srebrenica“. Diese Frauen verloren während des Krieges ihre Söhne, Männer und Brüder. Dennoch waren sie bereit, sich allen Fragen und Diskussionen zu stellen und zu antworten.

Zeitzeugen geben Einblicke

Zudem war es den Jugendlichen möglich, weitere Einblicke in das Kriegsgeschehen zu erhalten. Hierzu befragten sie drei weitere Zeitzeugen. Diese waren während des Bosnienkrieges auf den drei unterschiedlichen Seiten, also der Serben, der Kroaten und der Bosniaken, Kriegsgefangene. Es waren unmenschliche und unwürdige Zustände, über welche aus der Gefangenschaft berichtet wurde. Die eingebrannten Bilder der Zeitzeugen waren noch spürbar und die 16 Jugendlichen sichtlich beeindruckt. Es braucht viel Mut und Courage, so offen über diese Geschehnisse sprechen zu können. Denn nur über diesen Dialog ist es möglich nachfolgende Generationen für die Rechte der Menschen zu sensibilisieren und das Bewusstsein für mehr Toleranz und Antidiskriminierung zu stärken. Die Aussage einer deutschen Teilnehmerin verdeutlicht die Fassungslosigkeit gegenüber den Grausamkeiten des Krieges: „Es wurden Menschenrechte verletzt [...] und niemand hat sich für ihre Einhaltung eingesetzt.“ (Marlene, 18 Jahre)

Ein Krieg und seine Folgen

Eben jener Austausch hat gezeigt, wie nah der vergangene Krieg noch ist und wie sich seine Folgen noch immer auf die Gegenwart der ländlichen Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina auswirken. Noch immer bangen die Menschen auf dem Land und vor allem die jüngeren Generationen um Arbeit und zukünftige Perspektiven. Viele der geflohenen Menschen würden zurückkommen, wenn nur die wirtschaftliche Lage existenzsichernder wäre.

Ein Gastvortrag von Herrn Professor Dr. Ismet Sejfija (Prof. für Politologie an der Universität in Tuzla) über die Entstehung und den Zerfall Jugoslawiens sowie den Kult um den Diktator Tito konnte den historischen Rahmen um die behandelten Ereignisse schließen. Außerdem konnten noch offene Fragen geklärt werden. Beispielsweise wie es möglich war, dass es zu so einem Krieg und dem zweitgrößten Genozid im 20. Jahrhundert mit über 8000 ermordeten Menschen kommen konnte, wenngleich es stets unbegreiflich bleiben wird.

Attraktives Begleitprogramm

Neben den inhaltlichen Workshops, Gesprächen und Vorträgen hatten die deutschen und bosnischen Teilnehmer viele Möglichkeiten sich über sportliche Aktivitäten und Spiele näher zu kommen. An ruhigen Abenden ließen sie die Themen des Tages noch einmal in kleineren Gruppen Revue passieren.

Eine willkommene Abwechslung waren die Ausflüge nach Tuzla und Sarajevo. Hier konnten die Jugendlichen das Land und die Kultur auf eine andere Art erfahren und auch mal abspannen. Der Besuch einer Moschee konnte den Blick auf den Islam erweitern und für einen verständnisvolleren Umgang sorgen. Zudem verdeutlichten die Besuche in der serbisch-orthodoxen und der katholischen Kirche, welche tragende Rolle die Religion in diesem Land noch immer spielt.

Natürlich kam der Spiel- und Spaßfaktor nicht zu kurz und wurde durch Seebesuche und ausgiebige Wasserschlachten in den Pausen - bei 30 Grad im Schatten - befriedigt.

Die thematischen Auseinandersetzungen mit den Menschenrechten und den Menschenrechtsverletzungen damals und heute sowie das Land, seine Kultur und Mentalität hatte viele der deutschen Teilnehmer begeistert. Einige von ihnen flogen mit dem Gedanken im Kopf wieder nach Hause, nach der Schule ein Freiwilliges Europäisches Jahr in Bosnien bei der Partnerorganisation des Volksbundes IPAK Mladost gradi budućnost e.V. machen zu wollen.

Ergebnis: zweisprachige Broschüre

Als Ergebnis dieser deutsch-bosnischen Jugendbegegnung ist eine Broschüre zum Thema „Menschrechtsverletzungen damals und heute“ geplant. Die deutschen sowie die bosnischen Teilnehmer haben sich sehr bemüht, entsprechende Artikel zu den Workshops selbst zu verfassen und damit den Inhalt sowie die Methode der einzelnen Workshops oder Vorträge widerzuspiegeln. Diese Broschüre wird im November 2011 erscheinen. Nähere Informationen hierzu sind beim Landesverband Hessen zu erfragen.

Begegnung, Arbeit, Bildung

Die zweiwöchige interkulturelle Jugendbegegnung hat gezeigt, wie wichtig es bleibt sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und aus den Geschehnissen von Krieg und Gewalt für die Zukunft zu lernen. Weiterhin bleibt es ebenso wichtig den Blickwinkel der nachfolgenden Generationen stetig zu öffnen und zu schärfen, um aktiv an politischen und gesellschaftlichen Prozessen mitzuwirken. Im Motto der Jugendarbeit des Volksbundes „Begegnung, Arbeit, Bildung“ steckt hierfür viel Potenzial, welches in der Praxis weiterhin ausgeschöpft werden sollte. Workcamps wie dieses zeigen, wie wichtig die Arbeit mit der Jugend bleibt.

Das Projekt „Nie wieder…wir engagieren uns! Menschenrechtsverletzungen im Bewusstsein von Jugendlichen aus Deutschland und Bosnien-Herzegowina“ wird im Programm EUROPEANS FOR PEACE der Stiftung
"Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
sowie von der Stiftung Gedenken und Frieden gefördert.

Eileen Janiszewski