Die zentrale Gedenkstunde zum Volkstrauertag in der hessischen Landeshaupstadt fand auch 2023 wieder an den Kriegsgräbern des Wiesbadener Südfriedhofs statt. Nach kräftigem Herbstregen in den frühen Morgenstunden schien rechtzeitig zum Beginn der Veranstaltung am 19. November um 11 Uhr die Sonne vom beinahe wolkenlosen Himmel. Der Einladung zum Gedenken an die Toten der Weltkriege und die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur waren rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefolgt, unter ihnen Vertreterinnen und Vertreter von Stadtpolitik, Bundeswehr und US-Army.
Das Blechbläserensemble der Elly-Heuss-Schule Wiesbaden, das die Gedenkstunde der Landeshauptstadt traditionell musikalisch begleitet, rahmte die Veranstaltung mit den Melodien des Kirchenliedes „Ein‘ feste Burg ist unser Gott“ und der Nationalhymne ein. Schülerinnen und Schüler aus der Oberstufe der Elly-Heuss-Schule trugen eigene Gedanken zu den Themen Krieg, Frieden, Tod und Trauer vor. Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) hielt die Begrüßungsrede, als Kreisvorsitzende des Volksbunds sprach die frühere Wiesbadener Kulturdezernentin Rose-Lore Scholz (CDU) das Totengedenken.
Die Gedenkansprache wurde in diesem Jahr auf Einladung der Landeshauptstadt Wiesbaden von Dr. Götz Hartmann gehalten. Der Historiker und wissenschaftliche Mitarbeiter des Volksbunds in Hessen betreut das Forschungsprojekt des Landesverbandes. Die 2.200 Kriegsgräber des Wiesbadener Südfriedhofs sind derzeit ein Schwerpunkt seines Arbeitsbereichs.
Götz Hartmann betonte den Unterschied zwischen Trauer und Gedenken am Volkstrauertag. Von Jahr zu Jahr rücke die Zeit der Weltkriege und der nationalsozialistischen Diktatur ferner. Immer kleiner werde die Zahl derjenigen, deren Gedenken sich mit persönlicher Trauer um einzelne Menschen verbinde, die damals ihr Leben verloren haben: „Weil das Motiv persönlicher Trauer allmählich verklingt, müssen wir uns die Frage stellen, welchen Sinn wir dem Gedenken am Volkstrauertag jetzt und in Zukunft geben wollen“, sagte Götz Hartmann.
Eine mögliche Antwort sei: Zu gedenken und an die Vergangenheit zu erinnern könne helfen, die heutige Welt besser zu verstehen. „Die Konflikte und Kriege der Gegenwart fordern uns heraus. Wie wir sie wahrnehmen und uns zu den täglichen Schreckensnachrichten verhalten, ist in Deutschland noch immer stark von eigenen Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts geprägt“, sagte Hartmann und verwies insbesondere auf die Erfahrung des millionenfachen Sterbens in zwei verlorenen Weltkriegen und die Erinnerung an die Jahre der Diktatur von 1933 bis 1945.
„Kriegsgräberstätten sind Zeugnisse der Vergangenheit. Als Orte der Lebenden können sie Orte des Lernens sein. In den Schicksalen ihrer Toten werden die konkreten historischen Ereignisse anschaulich, die mit den abstrakter werdenden Begriffen ‚Weltkriege‘ und ‚NS-Herrschaft‘ gemeint sind – und die als vermittelte Erfahrung bis in unsere Gegenwart nachwirken.“
Dr. Götz Hartmann in seiner Gedenkansprache
Götz Hartmann wies hierzu auf die Bildungsangebote hin, die der Volksbund in Hessen entwickelt hat. Sie könnten in Zukunft auch auf dem Wiesbadener Südfriedhof genutzt werden. „Die Ergebnisse unserer aktuellen Forschungsarbeit beim Volksbund, deren Schwerpunkt die Kriegsgräber des Südfriedhofs sind, hoffen wir bald hier vor Ort ebenfalls öffentlich zugänglich machen zu können“, sagte er und schloss mit dem Ausdruck seiner Hoffnung, dass ein aus dem Gedenken gewonnenes historisches Verständnis dazu beitragen könne, aus der Vergangenheit Lehren zu ziehen, die den Herausforderungen der Gegenwart standhielten.