Meldungen aus dem Landesverband Hessen
Meldungen aus dem Landesverband Hessen

Examensarbeit über Friedhöfe als außerschulische Lernorte

Interview mit der Studentin Alisia Raab

Alisia Raab auf der Gräberstätte der deutschen Bombenopfer in Kassel-Bettenhausen

Alisia Raab auf der Gräberstätte der deutschen Bombenopfer in Kassel-Bettenhausen


Liebe Frau Raab, Ihr Lehramtsstudium für die Fächer Geschichte und Germanistik an Gymnasien, das Sie an der Uni Kassel absolviert haben, neigt sich dem Ende zu. Sie haben gerade Ihre Examensarbeit eingereicht. Darin geht es um „Friedhöfe als außerschulische Lernorte am Beispiel von Kassel Bettenhausen“. Sie mussten also zwangsläufig auf uns stoßen! Hatten Sie vorher schon einmal mit dem Volksbund und seiner Bildungsarbeit zu tun?

Alisia Raab: Im Jahr 2017 habe ich an der Philipps-Universität Marburg an einer Studienfahrt zur Jugendbegegnungsstätte Golm auf der Insel Usedom teilgenommen, bevor ich meinen Universitätswechsel nach Kassel vollzog. Dort wurde ich erstmals mit einer Kriegsgräberstätte und der Jugend- und Bildungsarbeit des Volksbundes konfrontiert.

Wie haben Sie das Thema Ihrer Arbeit gefunden?

Alisia Raab: Mit dem Titel meiner Arbeit „Friedhöfe als außerschulische Lernorte am Beispiel von Kassel Bettenhausen“ war ich sehr zufrieden. Das gewählte Thema ermöglichte mir einen erheblichen inhaltlichen Spielraum. Im Jahr 2022 wurde den Menschen erneut vor Augen geführt, dass es keine Garantie für einen dauerhaften Frieden gibt. Der Konflikt in der Ukraine unterstreicht die Dringlichkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg und Frieden. Insbesondere Schulen sind in dieser Hinsicht gefordert, Schülerinnen und Schüler diesbezüglich zu sensibilisieren, da sie unmittelbar damit konfrontiert werden. Das Fach Geschichte bietet unter anderem die Möglichkeit, diese Thematik im Unterricht zu behandeln. Ich entschloss mich dazu, meine Examensarbeit im Bereich der Geschichtsdidaktik zu verfassen. Der Fokus richtete sich dabei auf die Thematik „Die Folgen des Zweiten Weltkrieges“ und die Chancen und Herausforderungen einer Kriegsgräberstätte für Schülerinnen und Schüler als außerschulischer Lernort.

Wir bieten unterschiedliche Bildungsmodule auf Kriegsgräberstätten in Kassel an. Auf dem Friedhof Bettenhausen waren wir aber erstmals im Jahr 2023 mit einem Schulprojekt aktiv, und zwar anlässlich der Rückblicke auf die Luftangriffe vor 80 Jahren, die Kassel eine Art „Stunde Null“ beschert haben. Wie sind Sie darauf gekommen, ausgerechnet diesen wenig erforschten Kriegsgräberfriedhof in den Fokus Ihrer Arbeit zu rücken?

Raab: Die intensive Auseinandersetzung mit dem historischen Kontext der Kriegsgräber, insbesondere im Hinblick auf die Bombardierung von Kassel im Oktober 1943, war äußerst interessant. Dadurch wurde mir ein Einblick in die Vergangenheit der Stadt ermöglicht, in der ich nun mein Studium absolviere. Im Kontext der übergeordneten Thematik „Die Folgen des Zweiten Weltkrieges“ soll die Behandlung mit der Geschichte Kassels anhand des lokalen Beispiels der Bombardierung Kassels an einem Ort, an dem die Konsequenzen durch Kriegsgräber sichtbar sind, für Schülerinnen und Schüler greifbar werden. Diese Herangehensweise fördert nicht nur ein tiefgehendes Verständnis für die lokale Geschichte, sondern ermöglicht auch einen empathischen Zugang und ein Verständnis für die Auswirkungen von Konflikten im gesellschaftlichen und globalen Kontext. Der konkrete Bezug zu historischen Ereignissen vor Ort schafft für Schülerinnen und Schüler einen Lebensweltbezug und trägt dazu bei, dass diese die Bedeutung und Tragweite von historischen Geschehnissen besser nachvollziehen können. Es war eine Herausforderung und mit sehr viel Aufwand verbunden, eine Arbeit zu verfassen über einen wenig erforschten Kriegsgräberfriedhof. Dennoch liegt für mich der Spaß beim Verfassen einer Arbeit darin, selbstständig zu erforschen und nicht darin, mich ausschließlich auf bereits erforschte Themen zu beschränken, bei denen man lediglich Stellung beziehen kann. Diese Einstellung möchte ich als angehende Lehrerin auch meiner zukünftigen Schülerschaft vermitteln. Das Lernen muss einerseits informativ sein, aber andererseits soll ihnen das Lernen Spaß machen und sie sollen lernen, selbstständig zu erforschen, zu reflektieren und zu urteilen. 
 

Lebensweltbezug durch außerschulische Bildung

Haben Sie sich noch über andere außerschulische Lernorte informiert? Wenn ja, auf welche sind Sie beim Volksbund und/oder bei anderen Anbietern der politischen Bildungsarbeit gestoßen? Warum kamen sie nicht für Ihre Arbeit infrage?

Raab: Ich habe mich lediglich über die Stadtteilfriedhöfe in Kassel informiert, an denen Kriegsgräber vorhanden sind. Der Friedhof in Bettenhausen war insofern interessant, da der Stadtteil Bettenhausen ein bedeutender Industriestandort ist. Insbesondere im Zweiten Weltkrieg führte diese Tatsache dazu, dass Kassel mit seiner Industrie und seinem Rüstungsstandort auf der Prioritätenliste alliierter Luftangriffe stand und mehrfach bombardiert wurde.

Welche Institutionen und Verbände haben Sie neben dem Volksbund konsultiert, um mehr über den Friedhof Bettenhausen in Erfahrung zu bringen?

Raab: Frau Bachmann-Voß, die Pfarrerin Bettenhausens, berichtete mir von der Arbeit der Gruppe „Erinnerung im Netz“. Hierbei handelt es sich um einen Geschichtsverein Bettenhausens. Die Mitglieder sind Einwohner von Bettenhausen und teilweise Zeitzeugen der Luftangriffe auf Kassel. Ihnen liegt ihre Heimatgeschichte am Herzen, die sie mit ihrer Recherchearbeit wahren und für die Nachwelt festhalten wollen. Die Gruppe “Erinnerung im Netz” kann zudem eine Bereicherung für den Geschichtsunterricht sein, da Schülerinnen und Schüler durch eine Begegnung mit der Gruppe sowohl auf Experten Bettenhausens als auch auf Zeitzeugen treffen, die befragt werden können. Auch das Stadtarchiv unterstützte mich bei meiner Recherche zur Stadtgeschichte, indem mir sämtliche Schrift- und Bildquellen für meine Arbeit zur Verfügung gestellt wurden.

Als wie wichtig würden Sie außerschulische Bildung heute definieren?

Raab: Durch außerschulische Bildung wird den Schülerinnen und Schülern ein Lebensweltbezug gewährleistet. Ich finde solch einen Lebensweltbezug grundsätzlich immer von Vorteil für den eigenen Lernprozess. Es macht einen Unterschied, ob man etwas sekundär veranschaulicht und erzählt bekommt oder ob man primär mit einem Objekt beziehungsweise Lerngegenstand konfrontiert wird.

Bereicherung für das Lernen im Geschichtsunterricht

Hat sich Ihr Eindruck vom Volksbund im Laufe Ihrer Recherchetätigkeit verändert?

Raab: Der positive Eindruck von der Arbeit des Volksbundes bestätigte sich während meiner Recherchearbeit. Mir war zuvor nicht vollends bewusst, dass der Volksbund nicht nur im Ausland im Rahmen seiner Kriegsgräberfürsorge aktiv ist, sondern auch im Inland eine umfassende Jugend- und Bildungsarbeit leistet. Auch die Kooperation mit Schulen war mir bis dahin nicht bekannt. Es ist bemerkenswert, dass laut Herrn Vasco Kretschmann [Anm.: Fachbereichsleiter Schulen und Hochschulen beim Volksbund] durch die Bildungsarbeit des Volksbundes pro Jahr etwa 18.000 Schülerinnen und Schüler sowie 1.600 Lehrkräfte an 700 Schulen erreicht werden. Trotz dieses umfassenden friedenspädagogischen Engagements an Schulen hat der Volksbund bisher leider noch nicht die angemessene öffentliche Anerkennung und Wertschätzung für seine verdienstvolle Arbeit erhalten. Ich hoffe darauf, dass sich diese Situation in Zukunft ändern wird und sich weitere Schulen dazu entschließen werden, eine Kooperation mit dem Volksbund einzugehen. Denn durch seine Jugend- und Bildungsarbeit zu Themen wie Krieg und Frieden, Flucht und Vertreibung sowie Nationalsozialismus kann der Volksbund eine Bereicherung für das außerschulische und historische Lernen im Geschichtsunterricht darstellen, indem durch die Auseinandersetzung mit Kriegsgräbern Schülerinnen und Schüler die Förderung historisch-politischer Bildung gewährleistet wird.

Würden Sie Mitglied im Volksbund werden?

Raab: Ich bin bereits Mitglied des Volksbunds!

Haben Sie schon Ziele für die Zeit nach Ihrem Studium?

Raab: Ich kann es kaum erwarten, als Lehrerin im Vorbereitungsdienst in den Schulalltag zu     starten und freue mich schon sehr darauf. Ich hatte während meines Studiums einige Hürden zu überstehen und bin froh, dass ich mein 1. Staatsexamen voraussichtlich dieses Frühjahr endlich absolvieren kann.

Liebe Frau Raab, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen und für die positive Bewertung unserer Arbeit! Wir wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft und hoffen, in Kontakt zu bleiben.

 

Alisia Raab, Jahrgang 1993, wohnt in Frielendorf. Sie studiert die Fächer Geschichte und Germanistik an der Universität Kassel und steht kurz vor ihrem Abschluss. In der Recherchephase zu ihrer Examensarbeit stand sie im Austausch mit der Regionalstelle im Landesverband Hessen im Volksbund. Sie hat einen Projekttag mit der Offenen Schule Waldau begleitet, der im Oktober 2023 auf den Kriegsgräberstätten des Friedhofs in Kassel Bettenhausen stattfand.  

Die Fragen stellte Dr. Maike Bartsch, Regionalbeauftragte Hessen Nord im Landesverband Hessen im Volksbund.