Meldungen aus dem Landesverband Hessen
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„Die Zeit schreitet voran und frisst alles“

Johanna Groß und Daniel Hellwig auf dem LICHTER Filmfest in Frankfurt am Main. Alexander Wicker

Im Rahmen des 17. LICHTER Filmfestes in Frankfurt am Main trat der Film „Von dem, was bleibt“ von Johanna Groß und Daniel Hellwig im Wettbewerb Regionaler Langfilm an. Die Regisseurin macht sich in dem Filmprojekt auf Spurensuche nach ihrem Urgroßvater, der vermutlich im August 1944 in Bessarabien zwischen Moldawien und der Ukraine gefallen ist. Anfangs gibt es dabei nur die Erinnerungen der Großmutter und einen Stapel von in deutscher Kurrentschrift abgefassten Feldpostbriefen, die schließlich seit jenem August nicht mehr zugestellt werden konnten.

Der Film der beiden Studierenden der Kunsthochschule Kassel ist vom Volksbund breit unterstützt worden, sowohl aus der Bundesgeschäftsstelle heraus mit Erkenntnissen über Grablagen und Gräber in der Region als auch durch Zugang zur einer Grabung dort. Dabei konnte auch der eindrückliche Moment eingefangen werden, in dem die Volksbund-Mitarbeiter vor Ort ein ausnahmsweise vollständiges, nicht bereits mehrfach geplündertes Grab einschließlich einer halben Erkennungsmarke finden.

Insbesondere dadurch, dass die Protagonistin und Regisseurin sich nicht scheut, auch ihre verletzlichen Momente bei der Suche nach dem Urgroßvater von Kameramann und Co-Regisseur Daniel Hellwig dokumentieren zu lassen, berührt das für den Hessischen Filmpreis nominierte Werk. Kameraführung und musikalische Untermalung des Films zeichnen sich durch ihre sensible Begleitung sowie gleichzeitige Nähe und respektvolle Distanz aus.

Der Titel „Von dem, was bleibt“ deutet auch auf ein übergreifendes Sujet des Films hin: das transgenerationale Trauma, dem vor allem der Vater von Johanna Groß in Gesprächen mit seiner Tochter nachgeht. Der Hamburger Autor Sven Rohde kommt dabei ausführlich zu Wort. Besonders in Erinnerung bleibt dabei seine Äußerung: „Die Wahrheit heilt.“ Insofern ist Johanna Groß in ihrem Film nicht nur auf der Suche nach ihrem Urgroßvater Josef, sondern auch nach der Wahrheit und nach Heilung für sich und ihre Familie. Wichtig ist ihr dabei ausdrücklich, dass das Leid ihrer Familie nicht mit dem Leid der Opfer des deutschen Angriffskriegs und Völkermordes vergleichbar erscheinen soll.

Die Spurensuche der beiden Regieführenden führt insbesondere die Protagonistin einerseits in die Vergangenheit ihrer eigenen Familiengeschichte, andererseits in die Nachkriegsgeschichte und schließlich die Aktualität Osteuropas. Der orthodoxe Priester des kleinen Dorfs Gîsca weist die Filmschaffenden am Ende des Films zu einem Feld am Rande des Dorfes, wo bei Kämpfen zwischen sowjetischen und deutschen Truppen im August 1944 der Urgroßvater der Regisseurin umgekommen sein könnte. Dort hinterlässt Johanna Groß ein Schriftstück, vermutlich einen Brief.

Der Film, die Regisseurin und der Regisseur sowie die ebenfalls anwesenden Macher der Filmmusik erhielten bei der Vorführung am 20. April 2024 im Frankfurter Programmkino „Mal Seh’n“ anhaltenden und verdienten Applaus.

(Text: Alexander Wicker)

 

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