Meldungen aus dem Landesverband Hessen
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"Ein Kompass für die Zukunft"

Zentrale Gedenkstunde des Landes Hessen zum Volkstrauertag am 15. November 2015

Ministerpräsident Volker Bouffier sprach die Gedenkrede zum Volkstrauertag. Volksbund/Landesverband Hessen

Warum sollten junge Menschen 70 Jahre nach Kriegsende noch auf Vergangenes zurückschauen, anstatt einen – wie von Teilen der Gesellschaft propagierten – Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen? Welche konkreten Erfahrungen, Ereignisse und Schicksale sind für ihre Generation heutzutage relevant?

Diese Fragen standen im Mittelpunkt der diesjährigen zentralen hessischen Gedenkstunde zum Volkstrauertag, der angesichts der Ereignisse des 13. November traurige Aktualität erlangte.

Leonie Mayr und Philipp Knauf, die ehemalige sowie der aktuelle Freiwillige des Landesverbandes Hessen im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., gehören einer Generation an, die keinerlei persönliche Bezüge zu den Weltkriegen hat, weil sie die Schrecken und den Terror der Kriege und des Nationalsozialismus vor allem aus den Geschichtsbüchern kennen. Wieso also sollten diese zwei jungen Menschen an einem Tag wie dem Volkstrauertag gedenken?

Die Antworten auf diese Frage gaben sie selbst: „Das Gedenken an all die, die unter den unvorstellbarsten Gräuel und unmenschlichsten Verbrechen der Nationalsozialisten leiden mussten, führt unweigerlich dazu, dass man nicht vergisst. Ein Vergessen wäre fatal.“, so Leonie Mayr. Sie habe gelernt, dass das Gedenken an Vergangenes der erste Schritt zu besserem Zukünftigen sei. Anlässlich der 15. Jugendbegegnung des deutschen Bundestages im Februar dieses Jahres lernte sie Marian Turski, Journalist und Überlebender der Shoah, kennen. Dieser bezeichnete die Geschichte als einen Staffellauf, bei dem der Staffelstab der Erinnerung von Generation zu Generation mit allen Erfahrungen und Erlebnissen - gute wie schlechte - weitergegeben wird. Jede neue Generation müsse ihren Staffellauf selbst bestreiten, nur sollte sie die Erfahrungen der vorangehenden Generationen berücksichtigen, um sich so Leid und Schande ersparen. Erinnern und Gedenken, damit sich die Geschichte nicht wiederholt.

Als weiterer Vertreter dieser Generation und als neuer Freiwilliger im Landesverband Hessen übernahm Philipp Knauf den Staffelstab der Erinnerung aus Leonie Mayrs Händen. Seine Generation, so Knauf, lerne zwar enorm viel über Krieg und Gewalt und vor allem über das dunkle Kapitel der Geschichte, über Kriegsverbrechen und Vernichtungslager. Aber: „Wir haben keine Ahnung, was Krieg wirklich ist.“ Und doch sei es eben diese, seine Generation, an der es läge zukünftige Kriege zu verhindern. „Wenn wir es trotz der schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs […] nicht schaffen, weitere Konflikte zu verhindern, hieße das im Umkehrschluss, dass man Krieg am eigenen Leib miterlebt haben muss, um zukünftig vor ihm zu warnen.“  Eine Vorstellung, die für viele Vertreter dieser Generation leider bereits Realität ist und die auch für uns aufgrund der Ereignisse der letzten Tage auf einmal unfassbar nah erscheint.

Auch Ministerpräsident Volker Bouffier griff die Gedanken der jungen Menschen in seiner Gedenkrede auf. Sei der Volkstrauertag ursprünglich zur Erinnerung an die Toten der Weltkriege ins Leben gerufen, so ist er heute, 70 Jahre nach Kriegsende, vielmehr ein Tag, an dem wir uns immer wieder klar machen müssten, aus dem Geschehenen zu lernen. „Nur wer sich erinnert, wer weiß, wie es war, kann besser verstehen, wie es ist. Und nur wer weiß, wie es ist, der hat einen Kompass, wie es morgen sein wird.“ Nicht die leere Erinnerungsfloskel, das leere Ritual, sondern eine aktive Erinnerungskultur müsse uns leiten. Auch der Ministerpräsident sprach unter den Eindrücken der Anschläge von Paris. „Dieser Angriff galt nicht allein Frankreich. Es war ein Angriff auf die westlichen Werte, auf Demokratie, Toleranz und Freiheit.“ Und der Kompass für die Zukunft könne nur heißen: „Aktiv für Demokratie, für Toleranz, für Frieden und Freiheit einzustehen. Nicht nur am Volktrauertag, sondern jeden Tag, das ganze Jahr.“ Dies sei eine Herausforderung, der man sich nur gemeinsam stellen könne.

Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung durch den Kinderchor der 5 und 6 Klassen des Karl-Rehbein-Gymnasiums aus Hanau mit dem Singspiel „ Wir bauen eine Stadt“ von Paul Hindemith. Mit dem Stück hatten die Kinder gemeinsam mit ihrer Lehrerin die Geschichte der Bombardierung ihrer Heimatstadt zum Kriegsende 1945 auf eine ganz eigenen Art verarbeitet und den Bogen zur Stadt Frankfurt geschlagen, die - ebenso wie Hanau - in Folge des Zweiten Weltkriegs nahezu vollständig zerstört wurde.

Das Angebot des Landesverbandes sich vor sowie im Anschluss an die Gedenkveranstaltung in der Wandelhalle über Projekte aus der Jugend-, Schul- und Bildungsarbeit des Volksbundes zu informieren, wurde von den Gästen gerne angenommen. Hier bot sich zudem die Gelegenheit, die Gedenkstunde nochmals zu reflektieren und mit den Akteuren ins Gespräch zu kommen.