Meldungen aus dem Landesverband Hessen
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„Geschichte ins Bewusstsein rufen“.

Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Deportation Kasseler Juden ins Ghetto Riga am 9. Dezember 2021

2 Grad Außentemperatur und die zugige Atmosphäre auf dem Kasseler Hauptbahnhof ließen in Ansätzen erahnen, wie sich die 1034 Menschen jüdischen Glaubens gefühlt haben mussten, die sich hier auf Anweisung der NS-Herrscher vor genau 80 Jahren einfinden mussten. Nebenbei das muntere Treiben des Bahnhofs, auf der benachbarten Straße fahren Autos, laufen Fußgänger. Das Leben in der Stadt geht weiter. 1941 hatte es offenbar wenige interessiert, was mit den Mitbürgern geschehen sollte, für die ein Sonderzug Richtung Riga auf das Gleis 13 einbestellt worden war. Das Rigaer Ghetto, Ziel des Deportationszuges,  überlebten in Folge nur wenige der Juden aus Kassel und Umgebung.

An ihr Schicksal ebenso wie an das der Insassen zweier weiterer Deportationszüge, die 1942 in die Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek und Sobibor führten, erinnerte eine Gedenkveranstaltung, die die Stadt Kassel und der Landesverband Hessen im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. organisiert hatten. Austragungsort war das Mahnmal „Gleis 13/14 – Gedächtnis der Gleise“ des Documenta-Künstlers Horst Hoheisel, das die Namen der damals entrechteten hessischen Juden auf 120 Metern Schienen präsentiert.

„Wir sind hier, um uns die Geschichte ins Bewusstsein zu rufen und ein Zeichen zu setzen gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit“, sagte die Historikerin Nicole Tödtli, die im Auftrag der Stadt Kassel seit einem halben Jahr zu den Biographien verfolgter Juden aus Kassel forscht. Sie gewährte bewegende Einblicke in einzelne Schicksale.

Auch Oberbürgermeister Christian Geselle schlug einen Bogen zu heutigen Zeiten. „Wir erinnern uns an die schrecklichen Ereignisse von damals, weil wir nicht vergessen wollen und nicht vergessen dürfen.“ In Andeutung an die rechtsradikal motivierten Tatserien der letzten 15 Jahre in Kassel und Umgebung, beginnend mit dem Mord an Halit Yozgat, rief Geselle auf zu „Wachsamkeit und Entschlossenheit, zum Kampf gegen diese Tendenzen, zu Friede und Versöhnung zwischen uns, unseren Nachbarn, und unseren jüdischen Freunden, aber auch allen Menschen in dieser Stadt und in diesem Land.“

Einen weiteren bewegenden Redebeitrag leistete Esther Hass von der jüdischen Gemeinde Kassel. Ein jüdisches Gebet, gesprochen von Jaacov Axenrod und Musik von der Saxophonistin Kerstin Rhön rundeten die Veranstaltung ab. Am Ende wurden weiße Rosen auf die Schienen am Bahnsteig 13 gelegt – in Erinnerung an insgesamt 2000 jüdische Mitbürger, für deren Verbleib sich 1941 kaum jemand interessiert hatte.

Am Nachmittag hatte der Verein Stolpersteine e. V. zu einem Schweigemarsch eingeladen, der den Weg nachzeichnete vom damaligen Sammellager auf dem Gelände der heutigen Arnold-Bode-Schule bis zum Kasseler Hauptbahnhof. Alle Teilnehmer hatten sich geschlossen bei der Abendveranstaltung am Gleis 13 eingefunden und trugen mit mitgebrachten kleinen Lichtern zur Atmosphäre der Gedenkstunde bei. Oberbürgermeister Christian Geselle bedankte sich bei den zahlreichen Anwesenden für ihr Kommen und ihr reges Interesse.