Der Wiesbadener Südfriedhof ist der größte Friedhof der hessischen Landeshauptstadt. Auf seinen Kriegsgräberfeldern sind mehr als 2.000 Menschen bestattet: Männer, Frauen und Kinder aus Deutschland und anderen Ländern, die ihr Leben durch die Weltkriege des 20. Jahrhunderts oder als Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verloren haben.
Die Landeshauptstadt Wiesbaden erhält und pflegt die Gräber dieser Toten ohne zeitliche Befristung. Die Kosten der Grabpflege werden aus dem Bundeshaushalt finanziert. So bestimmt es das „Gräbergesetz“ der Bundesrepublik Deutschland.
Nicht unter die Bestimmungen des Gesetzes fällt das Gräberfeld für britische Soldaten und deren Angehörige aus den Jahren 1926–1929, das die Landeshauptstadt im Auftrag der Commonwealth War Graves Commission pflegt.
Ebenfalls kein Kriegsgrab im Sinne des „Gräbergesetzes“ ist das Grab von Manfred von Richthofen. Der Kampfpilot des Ersten Weltkriegs („Roter Baron“) starb 1918 beim Abschuss seines Flugzeugs. Nach mehreren Umbettungen ist er seit 1975 in einem privat gepflegten Familiengrab des Südfriedhofs bestattet.
Krieg und Gewaltherrschaft
Der vollständige Titel des „Gräbergesetzes“ lautet: „Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“. Kriegsgräber im engeren Sinne – Gräber von Personen, die durch Kriegshandlungen ums Leben kamen – machen nur einen Teil aller Grabstätten aus, deren dauerhafte Erhaltung und Pflege das Gesetz vorschreibt.
Bis zum Jahr 1965, als das „Gräbergesetz“ in Kraft trat, war dies anders. Den Opfern der nationalsozialistischen Diktatur und vielen ausländischen Toten des Zweiten Weltkriegs – insbesondere vielen der zahlreichen osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in Deutschland ums Leben gekommen waren – hatte der Gesetzgeber im „Kriegsgräbergesetz“ von 1952 ursprünglich nur die zeitlich begrenzte Pflege ihrer Grabstätten aus öffentlichen Mitteln zugebilligt, nicht aber deren Erhaltung über die ortsüblichen Ruhefristen hinaus.
Erst die Neufassung des Gesetzes im Jahr 1965 hob die rechtliche Diskriminierung auf und garantierte fortan auch den NS-Opfern und allen ausländischen Toten des Zweiten Weltkriegs die dauernde Pflege und Erhaltung ihrer Gräber.
Der bereits eingebürgerte Begriff „Kriegsgräber“ erhielt sich jedoch über die Ausdehnung des gesetzlichen Schutzes auf die Gräber der NS-Opfer hinaus und ist alltagssprachlich noch immer in Gebrauch. Wenn er auch hier verwendet wird, sind damit stets alle Gräber im Sinne des „Gräbergesetzes“ gemeint.
Der Erste Weltkrieg
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs entschied der Wiesbadener Magistrat, einen Teil des damals noch neuen, 1908/1909 angelegten Südfriedhofs als Begräbnisstätte für verstorbene Kriegsteilnehmer einzurichten.
„Der Magistrat hat in seiner Sitzung vom 29. August 1914 beschlossen, daß verstorbene Krieger im offenen Leichenwagen ohne Erhebung von Begräbniskosten überführt und auf dem, auf dem Südfriedhof errichteten Ehrenbegräbnisplatz bestattet werden.“
Verwaltungsbericht der Residenzstadt Wiesbaden für die Jahre 1914/1915 (StadtA WI, BS)
Als erster Kriegstoter wurde am 2. September 1914 der 21 Jahre alte deutsche Soldat Fritz Kubitza beigesetzt, der kurz zuvor im Wiesbadener St.-Josefs-Hospital an seiner schweren Verletzung durch eine Granate gestorben war.
Bis zum Ende der Kämpfe im Jahr 1918 wurden über 400 Tote in diesem Friedhofsteil bestattet. Die meisten von ihnen waren deutsche Soldaten, die in Wiesbadener Lazaretten verstorben waren; von knapp der Hälfte dieser Toten lebten die Angehörigen in der Stadt. 13 Zivilisten und ein Soldat, die bei einem britischen Luftangriff auf Wiesbaden im Oktober 1918 umgekommen waren, wurden ebenfalls hier begraben, unter ihnen das Ehepaar Daniel und Johannette Marx und seine vier Kinder.

Nach dem Waffenstillstand von 1918 bereiste eine britische Kommission Deutschland und ermittelte, welche Schäden durch die Luftangriffe während des Krieges entstanden waren. Dabei wurden auch Berichte und Bildaufnahmen von deutschen Stellen ausgewertet. Oben: Übersicht über die Auswirkungen des Luftangriffs auf Wiesbaden am 23. Oktober 1918. Unten: Das zerstörte Wohnhaus in der Riehlstraße 6 (Air Ministry, Results of Air Raids on Germany, Jan. 1st–Nov. 11, 1918. AIR 10/1214, Air Publication No. 1225, ³1920). © National Archives UK
Heute nur noch wenig bekannt ist, dass in Deutschland in den Kriegsjahren 1914–1918 eine große Zahl von Menschen, die in Heil- und Pflegeanstalten untergebracht waren, an Hunger starb. Das Schicksal des an einem neurologischen Leiden erkrankten Soldaten Max Metzner erinnert hieran.
Die Zwischenkriegszeit
Im Kriegsgräberfeld, das bis 1918 entstanden war, wurden zwischen 1919 und 1939 weitere 150 Bestattungen vorgenommen. Beigesetzt wurden ehemalige Soldaten aus Wiesbaden sowie – als einzige weibliche Kriegsteilnehmerin der Jahre 1914–1918 – die frühere Lazarett-Krankenschwester Marie-Luise von Baehr.
Nicht mehr erhalten sind die Gräber von 248 französischen Soldaten, die während des Krieges in deutscher Gefangenschaft verstorben waren und ebenfalls auf dem Südfriedhof bestattet wurden. Unter der französischen Besatzung der Nachkriegsjahre (1918–1926) wurden ihre Gebeine exhumiert und auf Friedhöfe in Frankreich und im heutigen Saarland überführt.
Mit der Wiederbesetzung des zuvor entmilitarisierten Rheinlands durch das nationalsozialistische Regime wurde Wiesbaden 1936 erneut Garnisonsstadt. Für hier stationierte Soldaten, die an Krankheiten oder bei Unfällen verstarben, wurde abseits des bereits bestehenden Kriegsgräberfeldes ein eigener Begräbnisplatz geschaffen.
„Auf dem Südfriedhof wurde als erstes Grabfeld das Kinderabteil C 1, dessen Ruhefrist im Jahre 1934 abgelaufen war, zur Wiederbelegung für Erwachsene freigemacht. Ein Teil dieses 4.800 m² großen Abteils wurde zum Garnisonfriedhof für die in Wiesbaden verstorbenen Angehörigen der Wehrmacht bestimmt; die Belegung hat bereits begonnen.“
Verwaltungsbericht der Stadt Wiesbaden für die Jahre 1936/1937 (StadtA WI, BS)
Der Zweite Weltkrieg
Im Zweiten Weltkrieg wuchs die Zahl der Kriegsgräber auf dem Südfriedhof stark an. Das größte zusammenhängende Gräberfeld aus dieser Zeit – herausgewachsen aus dem seit 1936 genutzten „Garnisonfriedhof“ – bildet das Abteil C 1.
Bestattet wurden deutsche Soldaten, zivile Luftkriegsopfer, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, vor allem aus Osteuropa, Kinder von Zwangsarbeiterinnen sowie „Displaced Persons“ wie Jurgis Elisonas aus Litauen.
Insgesamt bestehen auf dem Südfriedhof heute noch über 1.400 Kriegsgräber des Zweiten Weltkriegs und seiner Nachkriegszeit.
Auf alliierte Luftangriffe, die Wiesbaden ab Herbst 1944 vermehrt trafen, verweist das gehäufte Auftreten bestimmter Sterbedaten auf den Grabtafeln: 12. Oktober 1944, 9. März 1945 und besonders 2. (und 3.) Februar 1945. In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 1945 war die Stadt Ziel eines Bomberverbandes der britischen Royal Air Force. Dieser schwerste aller Angriffe auf Wiesbaden im Zweiten Weltkrieg zerstörte weite Teile der Innenstadt und tötete über 500 Menschen. 250 von ihnen sind in Kriegsgräbern auf dem Südfriedhof bestattet. Nur eine dichte Wolkendecke, die die Sicht der Flugzeugbesatzungen behinderte, bewahrte die Stadt vor noch größeren Schäden und weiteren Todesopfern.

Die ungünstigen Sichtverhältnisse in der Nacht vom 2./3. Februar 1945 führten zu einer unbeabsichtigt breiten Streuung der Bombeneinschläge im Wiesbadener Stadtgebiet. Dadurch wurden auch in den Vororten Häuser zerstört und Menschen getötet, woran diese Tafel auf dem Friedhof von Wiesbaden-Rambach erinnert. © Götz Hartmann, Volksbund Hessen
Gräber im Abteil B 1
Westlich des Hauptwegs, der von der Trauerhalle hangabwärts in den Südfriedhof hineinführt, befindet sich im Abteil B 1 ein weiteres Kriegsgräberfeld mit über 260 Gräbern. Auch hier sind Tote des Zweiten Weltkriegs bestattet.
Die meisten von ihnen waren Einwohnerinnen und Einwohner von Wiesbaden, die bei Luftangriffen ums Leben kamen, sowie deutsche Soldaten, die in Wiesbadener Lazaretten verstarben. Die Grabplatten zeigen in der Mehrzahl als Todesdatum das Jahr 1945 an. Ehemalige deutsche Soldaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg an den Folgen von Krankheiten und Verletzungen während ihrer Dienstzeit verstarben, sind ebenfalls hier begraben.
Erst eine Graböffnung durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge führte 1959 zur Identifizierung von Leutnant Gustav Bergmann aus Duisburg, der bis dahin als „Unbekannter“ hier bestattet war.
Einige Tote, 19 deutsche Wehrpflichtige und Soldaten, wurden erst 1976 auf dem Gräberfeld im Abteil B 1 beigesetzt. Zwischen 1940 und 1945 wurden sie nach Todesurteilen der Wehrmachtsjustiz – die ein Instrument des nationalsozialistischen Terrors war – hingerichtet oder in Gestapohaft ermordet. Unter ihnen waren Heinrich Ballreich und Karl Bühler, die in Wiesbaden erschossen wurden, weil sie als Zeugen Jehovas den Kriegsdienst verweigerten, und Ernst Heinz Wenzel aus Mainz, der sich im Frühjahr 1945 seiner Einberufung als Soldat zu entziehen versuchte. In der Absicht, sie noch im Tod als „ehrlos“ zu stigmatisieren, wurden sie am äußersten Rand des Südfriedhofs begraben.
Dort, im Gelände „Unter den Tannen“ nahe der Kriemhildenstraße, fielen ihre Gräber 1975 dem ehemaligen Wiesbadener Oberbürgermeister und Präsidenten des Hessischen Landtages Georg Buch auf. Georg Buch setzte sich dafür ein, dass die Toten vom Rand des Friedhofs auf eines der zentralen Kriegsgräber-Ehrenfelder umgebettet wurden, was die Landeshauptstadt im folgenden Jahr mit der Verlegung der Gräber in das Abteil B 1 verwirklichte.

Lage und Erscheinungsbild der Gräber im Gelände „Unter den Tannen“ 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Aktenvermerk des Landgerichts Wiesbaden aus den Ermittlungen zum Mord an vier sowjetischen Kriegsgefangenen im März 1945, 24. Juni 1965 (HHStAW Best. 468, Nr. 756³, Bl. 183, Schreibung „Krimhildenstraße“ im Original)
Gemeinsam mit den deutschen Toten wurden 1976 sieben Kriegsgefangene aus der Sowjetunion umgebettet, die ebenfalls im Gelände „Unter den Tannen“ begraben waren. Vier von ihnen waren unter dem Verdacht, geplündert zu haben, am 12. März 1945 von einer Streife der Gestapo auf einem Grundstück in der Mainzer Straße erschossen worden – nur 16 Tage, bevor der Einmarsch der US-Armee am 28. März 1945 die Diktatur der Nationalsozialisten in Wiesbaden beendete. Bei der Umbettung wurden die Gebeine der sieben Gefangenen im Gräberfeld der ausländischen Kriegstoten im Abteil C 1 beigesetzt.
Die Toten vom Chausseehaus
Im Sommer 1945 wurden in einem Bombentrichter im Wald beim Forstamt Chauseehaus, noch auf Wiesbadener Stadtgebiet an der Straße über die „Hohe Wurzel“, die Leichen von elf durch Kopfschüsse getöteten Männern entdeckt. Aus den Resten ihrer Bekleidung wurde geschlossen, dass sie Zwangsarbeiter oder sowjetische Kriegsgefangene gewesen waren. Identifiziert wurden die Toten nicht.
Da die Bergung der Leichen unter der Aufsicht der amerikanischen Militärregierung stattfand, wurden die elf Unbekannten auf dem Südfriedhof nicht im abseits gelegenen Gelände „Unter den Tannen“ bestattet, sondern ohne Verzug auf dem Kriegsgräberfeld der ausländischen Toten im Abteil C 1.
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Wiesbaden in den 1960er Jahren ergaben, dass es sich bei den elf Männern tatsächlich um sowjetische Kriegsgefangene gehandelt hatte. Kurz vor Kriegsende waren sie beschuldigt worden, bei Aufräumarbeiten nach einem Bombenangriff Wertgegenstände an sich genommen zu haben. Ein Kommando aus Gestapobeamten und SS-Leuten brachte sie an einem Tag im März 1945 – das genaue Datum ließ sich nachträglich nicht mehr feststellen – mit einem Lastwagen aus der Wiesbadener Innenstadt in den Wald beim Forstamt Chausseehaus und erschoss und verscharrte sie in dem Bombentrichter neben der Straße, in dem einige Monate später ihre Leichen entdeckt wurden.
Die ehemaligen Beamten der Gestapo-Außendienststelle Wiesbaden, die in den 1960er Jahren noch lebten, konnten gegenüber den Ermittlern zwar nicht leugnen, dass die Erschießung stattgefunden hatte, doch machten sie Erinnerungslücken geltend, beriefen sich auf Befehle von Vorgesetzten, die bereits tot waren, behaupteten, sich vom eigentlichen Tatort absichtlich ferngehalten zu haben, und belasteten ansonsten weitere Beteiligte, deren Aufenthaltsorte nicht hatten ausfindig gemacht werden können. Somit konnte keinem von ihnen nachgewiesen werden, am Bombentrichter im Wald persönlich Schüsse auf die Gefangenen abgegeben zu haben. Die Verfahren wurden eingestellt, und die Tat blieb ungesühnt. (→ Quellen)
Gedenkstätte für die NS-Opfer
Urnen mit den Namen von 171 Menschen, die zwischen 1940 und 1942 als Opfer der NS-„Euthanasie“ ermordet wurden oder als Häftlinge in Konzentrationslagern starben, sind im Abteil U 11a im Osten des Südfriedhofs begraben. Das Areal wurde 1958 von der Landeshauptstadt Wiesbaden zu einer Gedenkstätte aus drei Kreuzen und sechs Namenstafeln aus Sandstein umgestaltet.
Fünf der 171 in alphabetischer Reihenfolge ihrer Nachnamen auf den Tafeln aufgeführten Personen starben in Konzentrationslagern: Hermann Haust (1894–1941, Tod im Konzentrationslager Buchenwald), Josef Keller (1920–1941, Tod im Konzentrationslager Sachsenhausen), Adolf Eduard Nicolay (1883–1940, Tod im Konzentrationslager Buchenwald), Adolf Zehner (1895–1942, Tod im Konzentrationslager Dachau) und Arthur Weil (1880–1942, Tod im Konzentrationslager Sachsenhausen).
Arthur Weil, geboren 1880 im pfälzischen Rheingönheim, heute ein Stadtteil von Ludwigshafen, war Jude und lebte bis zu seiner Verhaftung 1938 als selbstständiger Kammerjäger in Wiesbaden. Das Aktive Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden hat seine Lebensgeschichte erforscht und in einem „Erinnerungsblatt“ festgehalten.
Die anderen 166 namentlich aufgeführten Männer und Frauen waren Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, die im Rahmen der „T4-Aktion“ durch Giftgas ermordet wurden. Das Kürzel „T4“ bezeichnet die Berliner Zentrale mit der Adresse Tiergartenstraße 4, aus der diese Phase der nationalsozialistischen Patientenmorde gesteuert wurde. Insgesamt wurden in der „T4-Aktion“ in den Jahren 1940 und 1941 in eigens hierzu eingerichteten Tötungsanstalten – Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Sonnenstein, Bernburg und Hadamar – über 70.000 Menschen ermordet.
Zur Verschleierung der Verbrechen und Täuschung der Angehörigen erfanden die Täterinnen und Täter für die Ermordeten natürlich klingende Todesursachen. Die Leichen der Opfer wurden in den Krematorien der Tötungsanstalten verbrannt. Die Asche wurde gesammelt, vermischt und willkürlich auf Metallurnen verteilt, um diese, mit Namen und gefälschten Sterbedaten versehen, zur Bestattung an Angehörige oder Friedhofsverwaltungen versenden zu können.
Die an die Friedhofsverwaltung in Wiesbaden versandten Urnen wurden im östlichen Teil des Südfriedhofs bestattet, wo sich die Urnengräberfelder befanden. Zur Beisetzung wurden 22 Grabstellen genutzt, die jeweils mit mehreren – mindestens vier und bis zu zehn – Urnen belegt wurden. In drei Vierteln der Fälle war für die Toten als Ort der Einäscherung die Tarnbezeichnung „Krematorium Wiesbaden II“ angegeben. Dahinter verbarg sich die Tötungsanstalt Hadamar – ein „Krematorium II“ existierte in Wiesbaden nicht. In den übrigen Fällen erscheinen in den Quellen als „Sterbeorte“ die Namen weiterer Tötungsanstalten: Bernburg, Grafeneck, Brandenburg und Sonnenstein. In keinem Fall jedoch enthielten die Urnen allein oder überhaupt die Asche der Personen, mit deren Namen sie beschriftet waren.
Nach welchem Prinzip als Zielort des Versands der Urnen Wiesbaden ausgewählt wurde, ist nicht klar zu bestimmen; nur für wenige der Menschen, deren Namen die Tafeln der Gedenkstätte verzeichen, lässt sich ein Bezug zur Stadt ermitteln. Tatsächlich diente der Urnenversand an Friedhofsverwaltungen dem Zweck, der Mordaktion mit einem „ordnungsgemäßen“ Begräbnis ihrer Opfer den Anschein des Normalen zu geben. Unerwünscht war, dass Angehörige die „Gräber“ aufsuchten. Diesem Kalkül entsprach es, die Urnen gerade nicht in die Städte zu versenden, aus denen die Toten stammten.
In ihrer eher abseitigen Lage verblieben die Urnen der NS-Opfer auch bei der Errichtung der Gedenkstätte in den 1950er Jahren, obwohl ihre Umbettung in die Nähe der zentralen Kriegsgräber-Ehrenfelder – mit dem Ziel einer stärkeren Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung – ebenfalls möglich gewesen wäre und zur selben Zeit etwa im benachbarten Frankfurt auch verwirklicht wurde.
Initiativen und Planungen zur Errichtung der Gedenkstätte lassen sich bis ins Jahr 1956 zurückverfolgen. Der Anstoß kam aus dem hessischen Innenministerium und wurde der Landeshauptstadt aus dem damaligen Regierungspräsidium Wiesbaden vermittelt. Die bauliche Umsetzung erfolgte 1958.
Im Vergleich mit dem Gräberfeld für die Opfer der NS-Herrschaft auf dem Frankfurter Hauptfriedhof fällt auf, dass in Wiesbaden darauf verzichtet wurde, die Ursachen für den Tod der 171 namentlich aufgeführten Menschen in der Gedenkstätte auch nur andeutungsweise zu benennen. Auch war in dem Ensemble aus Kreuzen und Namenstafeln keine Beschriftung vorgesehen, der zu entnehmen gewesen wäre, dass es sich hier überhaupt um einen Gedenkort mit Bezug zum nationalsozialistischen Terror handeln sollte. Erst Jahrzehnte später wurde am Zugang zur Gedenkstätte eine erklärende Hinweistafel aufgestellt.
Die Ausdehnung der Fläche mit den Urnen der NS-Opfer beträgt den Schriftquellen zufolge 55 m². Ein Zeitungsbericht von 1958 belegt, dass diese Fläche nur einen Teil des gesamten Abteils U 11a ausmacht, welches sie streifenförmig durchzieht. Die Gedenkstätte mit ihren Steintafeln und Kreuzen bezeichnet die Ausdehung des Streifens in der Länge. Das Foto zum Zeitungsbericht dokumentiert darüber hinaus, dass sich westlich an die Gedenkstätte ein Bereich anschloss, in dem sich 1958 noch weitere Urnengräber mit Grabsteinen befanden. Hier waren keine NS-Opfer bestattet. (→ Quellen)
Bedeutung als historisches Zeugnis
Die Kriegsgräberfelder des Südfriedhofs sind ein herausragendes Zeugnis der Geschichte Wiesbadens im 20. Jahrhundert. Sie erinnern an die historischen Ereignisse in den Jahrzehnten der Weltkriege und der nationalsozialistischen Diktatur, durch die die hier bestatteten Toten ihr Leben verloren haben.
Geschichtlich bedeutsam ist zugleich, wie sich der Umgang mit den Gräbern durch die Stadtgesellschaft nach 1945 verändert hat. Ein Beispiel hierfür ist die Umbettung der Toten aus dem Gelände „Unter den Tannen“ im Jahr 1976. In diesem Wandel des Gedenkens an die Toten der Kriege und die Opfer der NS-Herrschaft spiegelt sich die langsame, oft gegen Widerstände durchgesetzte Anerkennung historischer Schuld ebenso wie ein wachsendes Bewusstsein für die aus ihr herrührende Verantwortung.
Ort des Lernens
Mit zunehmendem Abstand zur Zeit der Weltkriege und der nationalsozialistischen Diktatur nimmt auch die Notwendigkeit zu, Kriegsgräberstätten wie auf dem Wiesbadener Südfriedhof zu erklären. Nachfolgenden Generationen muss vermittelt werden, warum sie angelegt wurden und welche Toten auf ihnen begraben sind.
Kriegsgräberstätten können Lernorte der historisch-politischen Bildung sein, wenn sie dazu entwickelt werden. Der Landesverband Hessen im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge stellt sich dieser Aufgabe, indem er seit 1999 die Geschichte ausgewählter Kriegsgräberstätten in seinem historischen Forschungsprojekt aufarbeitet und die Ergebnisse öffentlich zugänglich macht.
Der Wiesbadener Südfriedhof war 2023 und 2024 eines der Schwerpunktthemen im Forschungsprojekt des Volksbunds in Hessen. Zwei Informationstafeln, auf denen die Forschungsergebnisse dokumentiert sind, wurden in einer Feierstunde am 2. Februar 2025 der Öffentlichkeit vorgestellt und der Obhut der Landeshauptstadt Wiesbaden übergeben.
(Zuletzt geändert: 03.02.2025)