Meldungen aus dem Landesverband Hessen
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Die Internationale Jugendbegegnung Hessen erinnert an die Opfer der NS-"Euthanasie"

"Auf dass Ihr Eure Stimme erhebt, für diejenigen, deren Andenken noch immer nicht angemessen gewürdigt wird."

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Internationalen Jugendbegegnung in Hessen zusammen mit Gästen der Gedenkveranstaltung auf der Kriegsgräberstätte Idstein-Kalmenhof. Martin Fabjancic

"Die vergessenen Opfer" - unter diesem Titel stand die Internationalen Jugendbegegnung, die vom 15. bis 26. August 2022 stattfand. Sechzehn Jugendliche aus sechs europäischen Ländern - aus Italien, Rumänien, Ungarn, Polen, Deutschland und der Türkei - folgten der Einladung des Volksbundes nach Hessen. Vom Naturfreundehaus Wiesbaden aus, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer untergebracht waren, starteten sie zu zahlreichen Unternehmungen und Programmpunkten im Rheingau-Taunus-Kreis, in Wiesbaden  und in Frankfurt am Main.

"Die vergessenen Opfer" - der Themenschwerpunkt der diesjährigen Internationalen Jugendbegegnung erinnerte an die Opfer der sogenannten NS-"Euthanasie", der Ermordung von Menschen mit körperlichen oder geistigen Erkrankungen und Behinderungen, deren Leben im Nationalsozialismus als "lebensunwert" galt. Ein Workshop führte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zunächst in die Thematik ein. Nur wenige von ihnen waren zuvor mit dem Thema in Berührung gekommen - die meisten Teilnehmenden erfuhren zum ersten Mal über die systematische Ermordung von Anstaltspatienten während des Zweiten Weltkrieges.

Die frühere Landesheilanstalt Kalmenhof in Idstein war Teil dieses Systems. Während der sogenannten "Aktion T4" diente sie als Zwischenanstalt für den Transport der Patientinnen und Patienten in die Tötungsanstalt Hadamar. Doch auch auf dem Kalmenhof selbst wurden Patienten ermordet - insgesamt mehr als 700 Menschen. An einem zweiten Projekttag besuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendbegegnung den Kalmenhof und setzten sich mit der Geschichte dieses Ortes auseinander: das frühere Krankenhaus, in dem 1942 eine von rund 30 "Kinderfachabteilungen" eingerichtet und in dem ein Großteil der "Euthanasie"-Opfer ermordet wurde, die angrenzende "Leichenhalle" und natürlich die Kriegsgräberstätte. Hier ruhen rund 350 Menschen, die meisten von ihnen Kinder und Jugendliche. Auch ein Besuch der Ausstellung im Verwaltungsgebäude der Vitos Teilhabe war Teil des Programms. Ein Studientag in der Gedenkstätte Hadamar bildete den inhaltlichen Abschluss des Themenschwerpunktes.

 

Gedenken auf dem Kalmenhof

Am vergangenen Donnerstag, 25. August 2022 fand die abschließende Gedenkveranstaltung auf der Kriegsgräberstätte Idstein-Kalmenhof statt, die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern inhaltlich gestaltet wurde.

Zunächst begrüßte der Erste Stadtrat Wolfgang Müller, stellvertretend für Bürgermeister Christian Herfurth, die Internationale Jugendbegegnung und die anwesenden Gäste. Stadtrat Müller erinnerte an die lange Geschichte der Aufarbeitung der Geschehnisse auf dem Kalmenhof und an die notwendige Ausgestaltung der Kriegsgräberstätte und die Errichtung eines Gedenkortes auf dem städtischen Friedhof. Hier wurden ebenfalls Opfer des Kalmenhofes beigesetzt, ihre Gräber jedoch später aufgelöst. Gleichzeitig appellierte Stadtrat Müller an die Jugendlichen: "Ich möchte Euch ermutigen, dass Ihr Eure Stimme erhebt, für diejenigen, deren Andenken noch immer nicht angemessen gewürdigt wird."

Anschließend brachten Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Gedanken zu den Erlebnissen der vergangenen anderthalb Wochen in selbst formulierten Gedenkreden zum Ausdruck. Vor allem die Ansprache von Péter aus Ungarn bewegte die Zuhörenden sichtlich. "Die Wahrheit zu sehen, auch wenn sie wehtut, war das Ziel unseres Camps. [...] Wir stehen hier an den Gräber von über 350 Menschen. 350 Leben. Viele von ihnen waren Frauen und Kinder. [...] Ein großes Kreuz auf einem Stück Papier entschied über ihr Schicksal. Das Schicksal der Alten, der Jungen, der Starken, der Schwachen ... der Kinder des vergangenen Zeitalters und der Kinder der Zukunft."

Drei der Teilnehmerinnen richteten anschließend Friedensbotschaften in ihren Muttersprachen an die Anwesenden, bevor das Totengedenken in deutscher und englischer Sprache verlesen wurde.

In Vorbereitung auf das Gedenken hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kleine Gedenkkreuze aus Holz bemalt und auf der Kriegsgräberstätte angebracht. Am Ende der Veranstaltung gingen die Jugendlichen zusammen mit den Gästen zu den von ihnen gestalteten Holzkreuzen und legten dort Blumen im Gedenken an die Kalmenhof-Opfer nieder.

Besuch des Hessischen Landtages

Doch auch das Freizeit- und Kulturangebot kam keineswegs zu kurz. So besuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendbegegnung Frankfurt am Main, nahmen an einer Stadtführung in Wiesbaden teil und fuhren nach Rüdesheim, wo sich eine Wanderung durch die Weinberge anschloss. Ausflüge ins Schwimmbad und in den Kletterwald sowie ein gemeinsamer Grill- und Filmabend rundeten das Programm ab.

Ein besonderes Highlight war der Besuch des Hessischen Landtages in Wiesbaden. Die neue Schirmherrin des Landesverbandes Hessen, Frau Landtagspräsidentin Astrid Wallmann, begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendbegegnung persönlich und berichtete auch über ihre Beweggründe, den Volksbund durch ihre Schirmherrschaft zu unterstützen. In der anschließenden Führung durch den Landtag konnten die Jugendlichen einen kleinen Blick hinter die Kulissen werfen. Sie besichtigten Teile des Mitte des 19. Jahrhunderts erbauten Stadtschlosses und das neue Plenargebäude mit dem Plenarsaal.