Projekte aus dem Landesverband Hessen
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Kriegsgräberstätte Ludwigstein

Götz Hartmann, Volksbund Hessen

»Kreuz an der Grenze / die Bruder vom Bruder getrennt / weise zum einenden Himmel / öffne die Herzen dem Frieden.«

Mit Ausnahme dieser Inschrift in einem der beiden Halbschalentürme des Eingangsbereichs weist die Besucherinnen und Besucher der Kriegsgräberstätte nichts mehr auf die exponierte Lage hin, welche sie zu Zeiten ihrer Entstehung Anfang der 1960er Jahre einnahm. Am 25. Juni 1961 durch den hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn eingeweiht, sollte dieser Ort nicht nur Friedhof sein, sondern auch ein westdeutsches, antikommunistisches Zeichen über die nahe innerdeutsche Grenze hinweg nach Osten setzen. Dieser Ort wurde damit zu einem politisch stilisierten Platz inmitten der Spannungen des Kalten Krieges.

Unterschiedliche Gruppen von Kriegstoten

Die Kriegsgräberstätte Ludwigstein umfasst die Gräber von 290 Menschen, welche die Zeit des Eisernen Vorhangs nicht mehr erlebten, sondern im und kurz nach dem Zweiten Weltkriegs starben. Diese Toten wurden aus verschiedenen Kreisen Nordhessens hierher umgebettet. Die uniforme Gestaltung der Gräber verbirgt den Besuchern zunächst, dass es sich hier um die letzte Ruhestätte von Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts handelt, aus unterschiedlichen Ländern, von Menschen verschiedener politischer und religiöser Überzeugungen, die aus den unterschiedlichsten Gründen während des Kriegs starben.

Deutsche Soldaten und Zivilisten

Hier wurden deutsche Soldaten begraben: Viele von ihnen fielen in der Osterwoche 1945 – der letzten Kriegswoche, die die Region Nordhessen erlebte –, und viele von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt erst 17 oder 18 Jahre alt. Auch deutsche Zivilisten fanden hier ihre letzte Ruhe. Die meisten der hier Bestatteten sind jedoch ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene.

Opfer der NS-Herrschaft

Unter ihnen sind Häftlinge des Arbeitserziehungslagers Breitenau in Guxhagen sowie Männer und Frauen, die in den Sprengstofffabriken in Hessisch-Lichtenau arbeiten mussten. Unter ihnen sind befreite Zwangsarbeiter, die als Displaced Persons zunächst in Nordhessen blieben, und ehemalige Kriegsgefangene, die in einem Flüchtlingskrankenhaus bei Steina der Tuberkulose erlagen und die Rückkehr in ihre Heimat nicht mehr erlebten. Unter ihnen  sind Männer und Frauen, die oft unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit im gesamten nordhessischen Raum leisten mussten und dieses nicht überlebten.

Einzelschicksale

Die Tafel am Eingang der Kriegsgräberstätte weist den Weg zu den unten abgebildeten Einzelschicksalstafeln auf dem Gräberfeld.

Forschungsgeschichte

In der ersten Arbeitsphase des Projekts wurden wesentliche Fakten zur Geschichte der Kriegsgräberstätte recherchiert und auf einer Informationstafel dokumentiert. Die Tafel wurde 2008 der Öffentlichkeit übergeben und 2022 erneuert.

In der zweiten Arbeitsphase des Projekts wurden die Schicksale von neun Menschen – acht Männern und einer Frau –, die exemplarisch für die in Ludwigstein bestatteten Gruppen von Toten stehen, aus den verfügbaren Quellen rekonstruiert. Die Ergebnisse werden seit 2009 auf Einzelschicksalstafeln an den jeweiligen Gräbern präsentiert. Nach einer notwendig gewordenen Sanierung wurden die Tafeln an den Gräbern im Jahr 2015 neu aufgestellt.

Die Informationstafel aus dem Jahr 2008 musste 2022 wegen alterungsbedingter Schäden erneuert werden. Im Vorfeld wurden die Forschungsergebnisse der früheren Arbeitsphasen überprüft. Dabei fiel auf, dass sich die Identität des Toten, der im Grab 293 der Kriegsgräberstätte als »Unbekannter« beigesetzt ist, noch ermitteln ließ. 2008 war dies noch nicht gelungen. Möglich wurde die Identitätsklärung durch einen Abgleich von Quellen der frühen Nachkriegszeit aus den Beständen der Arolsen Archives (dem früheren Internationalen Suchdienst) mit dem Umbettungsprotokoll des Volksbunds von 1960.

Der Tote, ein KZ-Häftling, hieß Władysław Żukowski und stammte aus Warschau. Auf dem Todesmarsch aus dem KZ »Katzbach« in den Frankfurter Adlerwerken wurde er im März 1945 bei Fulda von einem Bewacher erschossen. Papiere mit seinem Namen trug er nicht bei sich. Sein Leichnam wurde am Straßenrand gefunden und auf dem nächsten Dorffriedhof begraben. Dabei wurde die Häftlingsnummer auf seiner Jacke registriert, wodurch dem Internationalen Suchdienst später seine Identifizierung gelang.

Die Mitarbeiter des Volksbunds hatten davon keine Kenntnis, als sie den Toten auf den Ludwigstein umbetteten. Zudem irrten sie sich beim Ablesen der Häftlingsnummer in einer Ziffer. Der erste Identifizierungsversuch im Forschungsprojekt schlug deshalb 2008 fehl.

Seit Juni 2022 ist der neue Kenntnisstand auf der Stele am Grab des Toten dokumentiert. Władysław Żukowski ist damit zum ersten Mal seit seinem gewaltsamen Tod in einem namentlich gekennzeichneten Grab bestattet.

Lernort Kriegsgräberstätte

Die Kriegsgräberstätte Ludwigstein stellt den am weitesten entwickelten Lernort des Volksbunds in Hessen dar. Ein Schwerpunkt ist das erlebnispädagogische Konzept des History Caching, das seit 2012 als festes Bildungsmodul angeboten wird. Es wurde zusammen mit der Jugendbildungsstätte Ludwigstein entwickelt und wird regelmäßig von Schulklassen und Jugendgruppen gebucht.

(Zuletzt geändert: 15.01.2024)