Annähernd 1.000 Kriegstote
Der Fuldaer Zentralfriedhof wurde 1906 eröffnet. Er bietet heute Platz für rund 11.000 Grabstätten. Eine besondere Kategorie von Gräbern stellen die Kriegsgräber dar. In ihnen sind annähernd 1.000 Menschen bestattet: Männer, Frauen und Kinder aus Deutschland und anderen Ländern, die ihr Leben in den Weltkriegen oder als Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verloren haben.
Die Gräber dieser Toten werden dauerhaft erhalten und gepflegt. So bestimmt es das „Gräbergesetz“ der Bundesrepublik Deutschland. Zuständig für die Grabpflege ist die Stadt Fulda; die Kosten werden aus dem Bundeshaushalt finanziert. Auch auf anderen Friedhöfen in Fulda gibt es Kriegsgräber, in großer Zahl vor allem auf dem Friedhof Neuenberg.
Tote in Einzel- und Massengräbern
Der Fuldaer Zentralfriedhof ist in mehrere Abteile gegliedert. Kriegsgräberfelder mit Einzelgräbern bestehen in den Abteilen 3, 4 und 11 sowie im Abteil 34.
Über das Friedhofsgelände verteilt finden sich außerdem sieben Massengräber. In ihnen sind über 250 ausländische Tote beerdigt. Die meisten von ihnen waren Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Sie starben am 27. Dezember 1944 bei einem alliierten Luftangriff auf den Fuldaer Rangierbahnhof im „Krätzbachbunker“, einem Tunnel unter den Gleisanlagen, der behelfsmäßig für den Luftschutz eingerichtet war. Im Januar 1945 wurden ihre Leichen ohne Särge, nur mit Kalk bestreut, in Sprengkratern begraben, die durch Bombenexplosionen entstanden waren. Wenige Tage zuvor hatte ein Aufklärungsflugzeug der US-Luftwaffe Fulda überflogen und dabei auch den von Kratern übersäten Zentralfriedhof fotografiert. Jedem der sieben Massengräber lässt sich auf dieser Fotografie ein solcher „Bombentrichter“ zuordnen.
Der Zentralfriedhof aus 6.000 Metern Höhe. Fotografie eines Luftaufklärers der United States Army Air Force, 6. Januar 1945. Rot umrandet sind die Bombentrichter, in denen die Leichen der ausländischen Toten des Luftangriffs vom 27. Dezember 1945 begraben wurden. © U.S. National Archives and Records Administration; Einzeichnung: Volksbund Hessen
Unter den ausländischen Opfern des Luftangriffs vom 27. Dezember 1944 waren Marija Kabalskaja, 25 Jahre alt, und Jewgenija Kabalskja, die erst kurz zuvor 21 Jahre alt geworden war. Die beiden jungen Frauen aus der Sowjetunion leisteten seit Mai 1942 Zwangsarbeit als Weberinnen in der Val. Mehler Segeltuchweberei AG in Fulda, wo Zeltbahnen, wasserdichte Textilien und Planen hergestellt wurden. Der gleichlautende Familienname, der geringe Altersabstand und ihre Herkunft aus demselben Ort in Zentralrussland legen die Vermutung nahe, dass sie Schwestern oder Cousinen waren. Ihre genauen Bestattungsorte sind unbekannt; fest steht lediglich, dass ihre Leichen in den Massengräbern des Zentralfriedhofs begraben wurden.
Auf drei der sieben Massengräber, gelegen in den Abteilen 4, 20 und 23, wurden unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg von Polen, die als „Displaced Persons“ in Fulda lebten, Kreuze errichtet. Sie sind mit den Namen der dort begrabenen polnischen Toten beschriftet. In keinem der drei Fälle jedoch umfasst diese Gruppe alle Toten im jeweiligen Massengrab.
Kreuz auf dem Massengrab im Abteil 23. Die polnische Inschrift unter dem Namenfeld lautet auf Deutsch: „Den Polen, die bei Luftangriffen 1944—45 auf deutschem Boden gefallen sind. ‚Für eure und unsere Freiheit‘, Landsleute. Fonds der Bewohner des polnischen Lagers Nr. 2 in Fulda.“ © V. Krause, Volksbund Hessen
Die übrigen vier Massengräber wurden in den 1960er Jahren von der Stadt Fulda mit einheitlich gestalteten Gedenksteinen versehen. Die allgemein gehaltene Inschrift der Steine – „Hier ruhen unbekannte Tote des Zweiten Weltkrieges 1939–1945“ – erwähnt jedoch nicht, dass es sich bei den Toten um Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter handelte. Auch Datum und Ursache ihres Todes bleiben ungenannt.
Tote des Ersten Weltkriegs
Die Kriegsgräber im Abteil 3 sind die ältesten des Zentralfriedhofs. In ihnen sind 150 deutsche Soldaten des Ersten Weltkriegs bestattet. Sie waren zumeist in Fuldaer Lazaretten verstorben. Auch fünf Kriegsgefangene aus der Armee des Russischen Kaiserreichs wurden dort beigesetzt. Das Gefallenendenkmal in diesem Abteil wurde 1928 errichtet.
Heute nur noch mit Mühe zu lesen ist die Inschrift auf dem Grabstein von Paul Koska. Der unverheiratete Sohn einer Bauernfamilie, im Zivilberuf Arbeiter, stammte aus dem Dorf Glausche (heute Głuszyna, Polen) in der preußischen Provinz Schlesien. Er war der erste Kriegstote des 20. Jahrhnderts, der auf dem Zentralfriedhof begraben wurde. Als Soldat der deutschen Armee mit dem untersten Dienstgrad Musketier verstarb er am 24. September 1914, acht Wochen nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs, im Alter von 21 Jahren in Fulda an einer Krankheit.
Tote des Zweiten Weltkriegs
Im Abteil 34, dem Standort der großen Informationstafel des Volksbunds in Hessen, sind 150 deutsche Soldaten des Zweiten Weltkriegs begraben.
Manfred Funk, dessen Familie in Essen zu Hause war, war Sohn eines höheren Reichsbahnbeamten. Als Obergefreiter der Wehrmacht wurde er im August 1942 an der Ostfront schwer verwundet. Nach monatelangem Aufenthalt im Lazarett starb er an Ostern 1943 im Alter von 32 Jahren.
Auch sechs Ausländer, die auf deutscher Seite am Zweiten Weltkrieg teilnahmen, sind im Abteil 34 bestattet. Unter ihnen war der 1918 geborene muslimische Bosnier Rahman Bajramović aus einer Gebirgsdivision der Waffen-SS (Grab 150). Der Verband wurde ab März 1943 als „Kroatische SS-Freiwilligen-Division“ aufgestellt und 1944 in „13. Waffen-Gebirgs-Division der SS ‚Handschar‘“ umbenannt. Die Soldaten der Division, überwiegend Freiwillige, wurden auf dem Gebiet des von der faschistischen Ustascha beherrschten „Unabhängigen Staates Kroatien“ unter der muslimischen Bevölkerung Bosniens rekrutiert. Ihre Offiziere waren in der Mehrzahl „Volksdeutsche“. So wurden Angehörige deutschsprachiger Minderheiten bezeichnet, die außerhalb der Reichsgrenzen lebten. Die Division bestand bis Ende 1944. Sie wurde im Partisanenkrieg auf dem Balkan eingesetzt, wo sie zahlreiche Greueltaten beging. Rahman Bajramović war hieran jedoch nicht beteiligt. Er verstarb bereits am 4. August 1943 im Rang eines SS-Schützen, des untersten Dienstgrads der Waffen-SS, auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken, wo die Rekruten aus dem Ustascha-Staat zur Ausbildung in Deutschland gesammelt wurden, an einer Krankheit.
Zivile deutsche Luftkriegstote
Rund 200 deutsche Zivilisten, fast ausschließlich Fuldaer Luftkriegstote, die bei den Bombenangriffen von 1944 ums Leben kamen, sind im Abteil 11 bestattet.
Fulda und seine Umgebung waren bis 1944 vom Bombenkrieg weitgehend verschont geblieben. Dies änderte sich ab dem Mai des Jahres, als die britischen und amerikanischen Luftsteitkräfte zur Vorbereitung der Invasion in der Normandie verstärkt Industriezentren in Mitteldeutschland angriffen. Auf dem Hin-und Rückweg überquerten sie dabei Osthessen. Am Nachmittag des 28. Mai 1944 befand sich eine Gruppe von Bombern der United States Army Air Force auf dem Rückflug von einem Einsatz gegen die Junkers-Flugzeugwerke in Dessau. Wegen ungünstiger Sichtverhältnisse hatten dort nicht alle Maschinen ihre Bomben abgeworfen. Als Ersatzziel griffen sie auf dem Rückweg zur Ausgangsbasis die Wasserkuppe an. Der Berg war in ihren Einsatzunterlagen als Flugplatz und damit als militärische Einrichtung eingetragen. Auf der Wasserkuppe befanden sich eine „Fliegertechnische Schule“ der deutschen Luftwaffe sowie eine Flugschule des Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK). In dieser erhielten Angehörige der Hitlerjugend Unterricht im Segelflug, der als Vorbereitung auf eine spätere militärische Fliegerausbildung dienen sollte. Außerdem hielten sich am Tag des Angriffs, dem Pfingstsonntag, zahlreiche Ausflügler auf der Wasserkuppe auf. Die 13 Todesopfer, die der Angriff forderte, waren diesen Umständen entsprechend zumeist Kinder und Jugendliche. Unter ihnen war der 13-jährige Alfred Kraft aus Fulda, der im Abteil 11 bestattet ist (Grab 459).
Ausländische Tote in Abteil 4
Abseits gelegen im Abteil 4 befindet sich ein Gräberfeld für ausländische Tote. Auch sie starben während des Zweiten Weltkriegs oder kurz darauf – in diesem Fall als „Displaced Persons“ – in Fulda. Sie stammten aus Polen und der Sowjetunion, den baltischen Ländern und Italien. Wie die Toten der Massengräber waren die meisten von ihnen ebenfalls Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Die genaue Lage ihrer Gräber innerhalb des Feldes ist nur in wenigen Fällen bekannt. Auch Kinder von Zwangsarbeiterinnen sind hier begraben. Eine Informationstafel des Volksbunds am Zugang zu diesem Gräberfeld gibt Auskunft über seine Geschichte und das Schicksal der dort bestatteten Toten.
Im Zweiten Weltkrieg lag das Gräberfeld am äußersten Rand des Zentralfriedhofs. Sein heutiges Aussehen erhielt es in den 1960er Jahren, als es durch die Stadt Fulda umfassend umgestaltet wurde. Aus dieser Zeit stammen die in Reihen angeordneten Kreuze und das Denkmal aus Sandstein.
27 der 56 Kreuze sind mit den Namen und Lebensdaten einzelner Toter beschriftet, unter ihnen fünf Kinder.
Die Anzahl der Kreuze täuscht jedoch: Tatsächlich sind in diesem Feld nicht 56, sondern mehr als 200 Menschen bestattet. Besondere Vorschriften der nationalsozialistischen Verwaltung verwehrten ihnen die dauerhafte Kennzeichnung ihrer Grabstätten. So ist zu erklären, dass von den meisten Toten des Gräberfeldes zwar die Namen und Lebensdaten registriert wurden, ihre genaue Grablage aber heute unbekannt ist. In vielen Fällen sind auch die Todesursachen überliefert. Schwerstarbeit, mangelhafte Ernährung, Unterbringung in Massenquartieren und unzureichende Gesundheitsfürsorge wirkten zusammen und führten zu einer hohen Sterblichkeit unter den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Besonders die Frauen und Männer aus Polen und der Sowjetunion waren hiervon betroffen, ebenso ihre Kinder.
Henryk „Kucerski“, so die Schreibung seines Familiennamens auf seinem Grabkreuz, kam am 30. März 1944 in Fulda zur Welt. Seine Mutter Walja Kutscherskaja stammte aus der Ukraine und war Zwangsarbeiterin in den Fuldaer Gummiwerken. Es fällt auf, dass der Vorname des Jungen in polnischer Schreibweise überliefert ist. Vielleicht trug sein – vom Standesamt als „unbekannt“ geführter – Vater den Namen ebenfalls, doch ist dies lediglich eine Spekulation. Osteuropäische Namen wurden in amtlichen deutschen Dokumenten der NS-Zeit oft auch aus reiner Willkür falsch geschrieben.
Walja Kutscherskajas Kind lebte nur wenige Monate. Am 12. August 1944 verstarb es, den Quellen zufolge an einer Lungenentzündung, zwei Tage, nachdem sie selbst 21 Jahre alt geworden war.
Von den annähernd 1.000 Menschen, die in den Kriegsgräbern des Zentralfriedhofs bestattet sind, stammte die Hälfte aus dem Ausland. In 90 % der Fälle sind die Grablagen der ausländischen Toten nur ungefähr bekannt.
Die Kriegsgräber auf dem Fuldaer Zentralfriedhof wurden 2023 in die historische Forschung des Volksbunds in Hessen aufgenommen. Anlass hierzu gab ein dreitägiges Gedenkprojekt auf dem Zentralfriedhof mit Schülerinnen und Schülern der Richard-Müller-Schule Fulda im Juli 2023. Das große Interesse, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Veranstaltung der Geschichte der Kriegsgräberfelder des Zentralfriedhofs und den Schicksalen ihrer Toten entgegenbrachten, ließ das Fehlen eines öffentlichen, vor Ort zugänglichen Informationsangebotes hierzu besonders spürbar werden.
Eine Fortsetzung des Gedenkprojekts, das von der Regionalbeauftragten Hessen Nord des Landesverbandes Dr. Maike Bartsch betreut und maßgeblich durch den Rotary Club Fulda gefördert wurde, konnte bereits 2024 stattfinden.
Die Forschungsergebnisse sind auf zwei Informationstafeln in den Friedhofsabteilen 4 und 34 dokumentiert. In einer Feierstunde am 24. November 2024 wurden die Tafeln öffentlich vorgestellt und der Obhut der Stadt Fulda übergeben.
(Zuletzt geändert: 25.11.2024)